Ein Sieg im Schatten der drohenden Apokalypse

 

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Die Sbornaja zitterte, die Sbornaja wankte. Die Sbornaja kämpfte und und gab nicht auf. Am Ende fand die Mannschaft einen Weg, das für Russland wichtigste Eishockeyspiel seit vier Jahren zu gewinnen. Die Olympischen Athleten aus Russland sind Olympiasieger 2018.

„Natürlich haben wir so etwas nicht erwartet“, sagte Pavel Datsyuk nach dem Finale in der Mixed Zone den versammelten Journalisten und fügte voller Erleichterung hinzu: „Nur gut, dass es positiv für uns ausgegangen ist. Als wir kurz vor Schluss den Ausgleich erzielten, ist uns allen auf der Bank das Herz stehen geblieben. Gusev hat uns neues Leben eingehaucht. Denn Deutschland hat sehr diszipliniert gespielt und immer wieder Überzahl in den Ecken hergestellt – darauf waren wir nicht wirklich gut vorbereitet. Aber wir haben gekämpft und wir haben gewonnen. Mein größter Traum ist wahr geworden, jetzt habe ich keinen mehr“, so der 39-Jährige gegenüber Championat.ru und AP.

Die Jubelszenen auf dem Eis, die unbändige Freude bei der Medaillenübergabe und die leidenschaftliche Intonation der russischen Nationalhymne, während in der Halle die Olympiatöne erklangen, beschreiben nicht einmal annähernd, wie groß die Last war, die der gesamten russischen Delegation durch das Tor von Kirill Kaprizov von den Schultern fiel. Denn die Fallhöhe war gigantisch, die Galgen und Guillotinen in Russland schon vorbereitet. Gegen Deutschland das so lang ersehnte Finale zu verlieren, wäre als ultimative Schmach in die Eishockeygeschichte eingegangen.

Entsprechend wackelig waren die Beine, entsprechend zittrig die Hände, entsprechend verkrampft der Kopf der roten Maschine. Doch als Sekunden vor Schluss die Apokalypse bereits am Horizont dämmerte, sorgten Nikita Gusev und Kirill Kaprizov für ein Happy End aus russischer Sicht und für die erste Goldmedaille der Sbornaja seit der Ewigkeit von 26 Jahren.

Oleg Znarok, der russische Nationalcoach mit deutschem Pass, ließ bei der Pressekonferenz seinen Gefühlen freien Lauf: „Ich denke, dass ich mit diesem Sieg bei Olympischen Spielen alle Fragen der Herren Journalisten beantwortet habe. Für mich war es das wichtigste Spielt meines Lebens, ich war sehr nervös und habe versucht, dass die Spieler meine Aufregung nicht merken. Es ist ein Sieg der Mannschaft.“

Als ihn Präsident Wladimir Putin noch auf der Trainerbank anrief und zum Sieg gratulierte, strahlte Znarok über das ganze Gesicht. Der ehemalige deutsche Zweitliga-Topscorer ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Dabei ist er sich seiner Linie treu geblieben: Znarok hat eine Sbornaja zum Olympiasieg geführt, die sich das Glück erarbeitete, die nach dem Rückstand kurz vor Schluss nicht einbrach wie so viele russischen Mannschaften in der Vergangenheit, sondern am Ende mit eigenen Waffen gewann: Die zwei Querpässe durch die deutschen Unterzahlbox vor dem Tor von Kaprizov ließen die Herzen der russischen Fans höher schlagen.

Ob Znarok auch in Zukunft die Sbornaja betreut, ist noch unklar. Auch wenn der Verband den in diesem Frühjahr auslaufenden Vertrag am liebsten sofort verlängern möchte, zögert der Erfolgscoach. „Ich bin wirklich müde und werde in Ruhe überlegen.“

So viel Dramatik, so viel Spannung, so viel Leidenschaft: Das Finale entschädigte für ein insgesamt durchwachsenes Olympiaturnier ohne NHL-Stars. Die Probleme im russischen Eishockey werden sich durch den Olympiasieg 2018 nicht in Luft auflösen: die sportliche Schieflage in der KHL, die Finanzprobleme in der Breite, die Nachwuchssorgen. Die neuen Helden in den roten Trikots ohne Wappen und Fahne haben dem sportlich angeknacksten Riesenreich aber ihren Nationalstolz zurückgegeben und werden in Russland als Helden gefeiert.